Wie geht's?
Wie geht’s? Wer hat diese Frage selbst noch nicht gestellt? Wohl kaum jemand. Und auch kaum jemand wurde noch nie nach dem eigenen Befinden gefragt. An der Frage selbst ist in der Regel nichts auszusetzen, wenn sie ernst gemeint ist, nur sind von 10 Leuten die diese Frage stellen, vielleicht zwei wirklich daran interessiert zu erfahren wie es tatsächlich „geht“.
Und dann kommt es noch darauf an, was man/frau darauf antwortet: Geht es gut, dann ist es fein, geht es nicht gut, dann rollt in der Regel entweder eine Vorwurfslawine los, oder aber die Ohren werden zugeklappt und die Fragesteller beginnen ihrerseits stunden lang über sich selbst auszuholen.
Wenn die Vorwurfslawine losrollt hört sich das ungefähr so an: „Ich habe es Dir ja gleich gesagt, dass das keine gute Idee ist, jetzt musst halt schauen, wie Du aus der Misere wieder herauskommst. Meistens folgen noch „gute Rat-Schläge“ wie man/frau es besser machen kann, aber helfen…?
Wer in der Misere steckt, steckt meistens ganz allein drin und muss auch wieder ganz allein da raus kommen. Außer guten Rat-Schlägen ist von dem meisten Mitmenschen nicht viel zu erwarten. Aber es wäre ja schön, wenn es nur gute Rat-Schläge wären, meistens sind sie voll von Untertönen. Je nach dem, um welches Problem es sich handelt, ist dann zu hören:
Bei finanziellen Krisen: Du bist ein Versager/eine Versagerin. Lebensunfähig. Zu blöd um die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Bei Liebeskrisen: Kein Wunder, du suchst dir immer die falschen, hab ja gleich gesehen, dass der/die nichts ist für dich. Hast halt keinen guten Griff bei deinen Männern/Frauen.
Bei beruflichen Krisen ist es etwas differenzierter, da kommt es dann darauf an, welchen Status man/frau innehat. Aber der Tenor kann derselbe sein: Alles falsch gemacht, bist eben zu blöd um dich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen.
In Summe lässt sich, egal um welche Krise, welches Problem es sich handelt, ein gemeinsamer Unterton aus den guten „Ratschlägen“ heraushören: SELBER SCHULD!
In unserer Kultur heißt das soviel wie: Wer Schuld ist, dem/der braucht auch nicht geholfen zu werden.
Und somit sind die Fragestellenden wieder fein raus aus dem Schneider, denn: Wir haben unsere eigenen Probleme und außerdem: Mir hilft auch niemand!
Stimmt’s?
Ist das nun Ausdruck neoliberalen Gedankengutes oder einfach nur innere Kälte?
© Irmgard Klammer 2007
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